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Homo revoltans

Revolte und Tiefenpsychologie



Die sich an herrschenden Machtstrukturen entladende Revolte und das Gefühl der Sinnlosigkeit, einer Absurdität des menschlichen Dasein, stellen unter einem gewissen Gesichtspunkt betrachtet zwei Seiten ein und desselben Phänomens dar: Die stets im ungewissen verlaufende Suche und das dem Menschen eingepflanzte Bedürfnis nach Sinn einerseits und dem Ausdruck der Revolution und Subversion anderseits, den sich dieses im Aufbegehren gegen diese Ohnmacht verschafft. Diese Spannung lässt sich in vielfältigen Gegensätzen verbildlichen: es ist die gegenpolige Kraft von Ja und Nein, von Kritik und Affirmation, von sich brechendem Licht an den sich stets neu differenzierenden Schattenspielen des Daseins oder an ganz prominenter Stelle: diejenige zwischen Sein und Nichts.

 

Christoph Schmassmann


Tatsächlich gibt es für das Aufbrechen von destruktiver Wut und die kollektiven Stürme auf die mit Glassplittern und Mauersteinen gespickten Werte der althergebrachten Strukturen der Macht wohl immer komplexe Cluster-Kausalitäten. Der folgende Ansatz ist natürlich immer auch eine Verkürzung des Zusammenspiels von Kräften, die dabei am Werke sind. Doch soll in der Folge der Versuch leitend sein, das zu offenbaren, was uns alle auch heutzutage noch unserem Wesen nach vielleicht mehr denn je zur Revolution verschreibt – das nachzuvollziehen, was quasi im Strom der Zeit den Motor der Veränderung und des mitunter gewaltsamen Umbruchs am Laufen hält.

 

Sinnvakuum

In diesem Zusammenhang ist so die subversive Spannung zwischen der alle gegebenen Werte in Frage stellenden Revolution und dem menschlich allzu menschlichen Gefühl von der Absurdität des Daseins zwischen Leere und Überfülle von möglichen Sinnzuschreibungen, welche sich immer wieder und ein ums andere mal in der Revolte Ausdruck verschafft, zu eröffnen: Doch was soll das nun in der Folge bedeuten? Die mit Lyotards Konzept der Postmoderne vereinbare Beobachtung, dass die dem Menschen in seiner Sinnsuche stützenden und wegweisenden Meta-Erzählungen, wie sie beispielsweise die Religion darstellt, nach und nach einzustürzen und sich so gesehen mehr und mehr zu verselbstständigen beginnen, heisst nun vor allem Folgendes: was einmal als verbindlich galt, löst sich auf in das jeweilige Verhältnis in das ein Individuum (und gerade nicht mehr das Kollektiv) zur Wirklichkeit tritt. Erst an diesem Punkt tritt nun das Absurde in all seiner Brutalität vor Augen und zutage. Es gibt keinen einheitlichen Sinn mehr – an die Stelle von Religion und allgemeinen Wertvorstellungen im weitesten Sinne, wie beispielsweise die Richtlinien von Moral, treten nun plötzlich Pluralität und mulitdimensionale Perspektiven. Und während erstere über vielfältige Bezugssysteme mit einem Male im Leeren verpuffen, wird so gesehen ein Vakuum hinterlassen, welches letztlich unterschiedlichste Sinnstiftungsprozesse anzieht und zulässt, und die in der Folge miteinander  zu vereinbaren sind.


Das Ja im Nein

Wenn nun gerade die Tiefenpsychologie in diesem Zusammenhang als zweite und „dunkle“ Aufklärung bezeichnet wird, so hat dies zunächst den einen ganz entscheidenden Effekt. Der Mensch anerkennt seine Ohnmacht angesichts eines übermächtigen Unbewussten, das ihn in seinem Handeln, Fühlen und Denken bis tief hinein in seine animalischen Seiten bestimmt. „Das Ich ist nicht Herr im eigenen Hause“ um diesen Allgemeinplatz noch anzuzitieren. Es ist die letzte narzistische Kränkung auf dem Weg zur Entfaltung einer postmodernen Menschheit. Doch was geschieht nun? In beiden Richtungen des ihn umgebenden, für den einzelnen immer undurchschaubar werdenden, nicht mehr fass- geschweige denn begreifbaren Weltlichen und den bis hinein in sein eigenes Ich immer unzugänglicher werdenden Dispositive und Zwänge der menschlichen Psyche ist schliesslich der Mensch seiner Freiheit beraubt. Dies mündet unter anderem regelmässig in das Gefühl des Absurden, welches sich in kosmischem Gelächter Ausdruck verschafft – oder um es mit Camus zu sagen: in dem Double-Bind eines Ja im Nein, eines Seins das mit einem Mal und unversehens im Nichts steht und sich in dieses aufzulösen droht.

 

Aufbrechende Gegensätze

So gilt es schliesslich zu begreifen, sich zu vergegenwärtigen und zu verinnerlichen, dass Absurdität (das Gefühl der Sinnlosigkeit) und Revolution (im Zuge einer Freisetzung von Energien, wie sie das Bedürfnis nach Sinn verlangt) immer nur zwei Seite einer Medaille darstellen, welche sich so gesehen immer wechselseitig ineinander auflösen lassen müssen – und so tritt durch diese Erkenntnis mit Sigmund Freud letztlich eine Aufhebung der Dualitäten, wie sie von der Religion und von Autoritäten im allgemeinen entworfen werden, zutage  – an oberster Stelle natürlich im hierarchischem Denken zwischen Verstand und Emotion. Und so kann der Mensch schliesslich nur auf diesem Wege und nicht mehr aus sich selbst heraus, sondern nur via vielfältige Identifikationen im Rahmen von ständigen Um- und Neuorientierungen zu seinem, wenn man so will, wirklichen Sein und seiner eigentlichen Bestimmung zurückfinden. Er ist mit einem mal aufgerufen nach Vorbildern zu suchen, die ausserhalb der Schemata gängiger Machtstrukturen liegen, sein Denken und stetes Sein und Werden in Bewegung zu versetzen. So kann er letztlich aus dem Gefühl der Absurdität heraus zu neuen Antworten gelangen und trotz aller Hindernisse, Rückschläge und Diffamierungen sich selbst treu bleiben.

 


 

Auswege und Richtungen

Und so werden letztlich gerade am Scheitern am Sinn und der sich stets weiter aufschiebenden Sinnsuche die Schwierigkeiten deutlich, der Revolte treu zu bleiben und die Furcht vor dem Gefühl des Absurden zu bannen – ein Gefühl letztlich, welches sich aber im Endeffekt niemals bannen lässt. Das verschafft sich so immer in einer Flucht nach vorne Ausdruck, die sich schlussendlich in stets neuem Aufbegehren gegen Autoritäten artikuliert. Und so ist letztlich die Revolution im Gegensatz zur Evolution – welche strömt und sich bahnbricht – als die stets von neuem umwälzende und neu verteilende Kraft zu fixieren, die Widerstände schafft und in das ansonsten ungestörte Spiel der Macht und der herrschenden Strukturen das einstreut, was sich letztlich in uns allen vollzieht: Die Suche nach Reibungsfläche an der Realität. Die Revolte wird somit zum Lebensprinzip und zu einer Weltanschauung –  zu dem Kernstück eines Humanismus, welcher auf das Absolute zu verzichten gezwungen ist. Und so stellt sie sich ganz in den Dienst des Individuums – als das Relative, Begrenzte und Endliche im Spiel der Mächte und Kräfte einer nurmehr disparat verlaufenden Sinnsuche und eines sich stets in seine Teile wieder auflösenden Ganzen. Und so erweist sie sich gerade Subversion und Revolution als politisch im weitesten Sinne des Wortes: Menschwerdung im Zuge einer steten und nie endenden Sinnsuche, welche sich gleichzeitig für das eigene Schicksal und das Schicksal der Welt verantwortlich fühlt und die ganze Kraft für das Leben, das in seinem Wirkkreis steht, einzusetzen bereit ist.

 

Literatur zum Thema:

Irmgard Fuchs. Revolte und Tiefenpsychologie. Verlag Königshausen & Neumann. 2005.

 

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